Helga Neumayer - Urbane Hobbygärtnerin bei den Reisenbäuerinnen
„Gäbe es kein Geld, müssten die Leute Klaviere gegen Erdäpfel, Schuhe gegen Autos und Marmelade gegen Smartphones eintauschen. Eine solche Art von Tauschwirtschaft, wir wissen es aus Krisenzeiten, begünstigt erst recht die Spekulanten; in jedem Fall aber den, der auf dem längeren Ast sitzt.“
Peter Rosei in „Geld und Gier“ [1]
Wie konnten die Reisenbäuerinnen die urbane Hobbygärtnerin Anfang April von ihren Pflanztöpfchen und Trögen hervor- und weglocken?
Das Wetter war es kaum. Einerseits die Tatsache, dass wir seit Monaten in einem winterlichen Lockdown steckten, in dem Sozialkontakte weitgehend unterbunden waren. Andrerseits aber vor allem die Neugier:
Wie funktioniert eine Solidarische Landwirtschaft im Wiener Neustädter Umland, wo doch die meisten einen eigenen Garten zu haben scheinen? Was bauen die Landfrauen im südlichsten Zipfel Niederösterreichs an? Wie erleben die Landwirtinnen den Lockdown? Und ihre Solila-Genossinnen? Und werde ich, gemütliche Stadtpflanze mit Hang zur Nachtarbeit und zur Siesta, den Kolleginnen am Feld überhaupt eine Hilfe sein können?
Der Entschluss, ins damalige Quarantänegebiet zu reisen, fiel umso leichter, als ich mich in netter Reisegesellschaft befand, denn wir trudelten als eine feministisch-ethnologische Dreier“mann“schaft in Krumbach ein, was schon die gemeinsame einstündige Hinfahrt zum Erlebnisaustausch machte. Es war die Zeit des sozialen Nachholbedarfs …
Wir orientierten uns an der riesigen Parkplatzwüste des Eisgreißlers, kommentierten den Disneyland-Charakter des Reisenbäuerinnen-Nachbarn und fanden die gastfreundlichste Aufnahme, die sich frau an einem Arbeitsplatz vorstellen kann, nämlich mit einem ausgiebigen Frühstück.
Ethnologinnen sind nicht für alle Menschen leicht erträglich, denn sie fragen und fragen, und nichts ist ihnen banal genug, sie wollen es ins Detail wissen. Aber Michaela Reisenbauer war geduldig und mitteilungsfreudig. Sie erzählte uns über die Mitgliederstruktur, über die Anbauentscheidungen, über ihre Kindheit und über die Tiere. Aus der Kohlmischkultur heraus lehrte sie uns die Stimmen von Mutterkuh, Kalb und Stier zu unterscheiden, die sich zwischen Stall und Weide miteinander unterhielten. Sie erzählte vom Misserfolg bei einer Bohnensaat und von der Großzügigkeit, die man gegenüber Wühlmäusen und Schnecken walten lassen müsse, obwohl alles getan werde, um sie vom Feldgenuss abzuhalten. Wir lernten die Erbsen im Folientunnel hochzufädeln, was ich als urbane Gärtnerin gleich meinen eigenen Feldkolleginnen weitergab. Und siehe da – unsere städtische Erbsenernte heuer war ein Hit und die „Biobäuerin von der Helga“ erlangte zunehmende Bekanntheit am Gemeinschaftsfeld am Wiener Laaerberg.
Michaela, die „Feldchefin“, wie sie gar nicht gern genannt wird, war auch immer bedacht, dass wir Pausen einlegten und dass unsere Aufgaben abwechslungsreich gestaltet seien. So durfte ich zwischendurch den Hühnern ausgewachsenen Salat servieren. Ich staunte, mit welchem Genuss sie den verspeisten. Wir setzten Brennesseljauche an und brachten die Schalen von Sonnenblumenkernen als Mulch gegen Schnecken aus. Wir setzten Netze gegen Vögel und Schädlinge über Kohllauchmischbeete und in den Pausen unterhielten wir uns über Landwirtschaft und Gesellschaft in der Literatur.
Auch Michaela selbst und ihre sympathische Mitarbeiterin waren an unseren Leben interessiert und es ergaben sich spannende Feldgespräche, unterbrochen von Fragen und Beobachtungen zur Arbeit.
Zwischendurch lernten wir freiwillige Helfer*innen kennen, die stundenweise dabei waren, kramten in unseren Repertoires an Arbeitsliedern, die wir zum ersten Mal am Feld ausprobierten und jodelten einem Kunden was vor …
Eine meiner anfänglichen Sorgen war – ich kann das jetzt offen eingestehen – ob ich die Feldarbeit einen ganzen Tag durchzuhalten vermöge. Die Arbeitstage waren aber – wie sich herausstellte – sehr zuvorkommend eingeteilt. Am Vormittag gab es eine kurze Kaffeepause und später ein kräftiges Mittagessen in entspannter Atmosphäre, zu dem wir alle beitrugen. An einem besonders heißen Tag beendeten wir die Vormittagsvorhaben mit 13:30 Uhr und es ging erst wieder nach 16 Uhr am Feld los, nach Lunch, Siesta und einem kurzen Interview für die Radiosendung für das Autonome Kulturzentrum WUK, in dem wir beide, meine Kollegin Andrea Hiller und ich, als Redakteurinnen aktiv sind.
Diese Ganzheitlichkeit der Lebensführung besticht und ist gleichzeitig beruhigend, denn die kleinbäuerliche Lebenswelt ist an einer Wende angelangt und deshalb sollte jede von uns wissen: Ja! Es gibt sie, die Alternativen zur Agrarindustrie der Konzerne, zur Sklaverei migrantischer Arbeitskräfte in Monokulturplantagen, es gibt Alternativen zur Zerstörung von Ökosystemen durch Pestizide und Einfallslosigkeit. Ich möchte nicht romantisieren, die Arbeitsalltage von Michaela Reisenbauer und ihrer Mitarbeiterin bergen sicher an manchen Tagen härtere Umstände und längere Arbeitszeiten, als es mir an einem heißen Sommertag oder einem windig-kalten Frühlingstag lieb wäre, aber sie planen mit Herz und Verstand und Geduld und im Einverständnis mit einer Gemeinschaft. Ich denke, es sind solche Gemeinschaften, es sind diese Kollektive, die in herausfordernden Zeiten zu einer erfolgversprechenden ökologischen und sozial verträglichen Wende im kleinbäuerlichen Bereich führen können.
Über das und viel mehr unterhielten wir uns bei frischem grünen Salat und dicken panierten Zucchinischeiben in Schmalz gebacken – eine Erinnerung an meine Kindheit, als Schmalz gang und gebe war und noch nicht der Feind veganer Ökofreaks.
Anmerkungen:
[1] Geld und Gier. Die besten Texte aus dem Ö1 Literaturwettbewerb. Herausgeberin: Gasser, E.U.; Braumüller/Wien: 2015.
Zur Autorin:
Helga Neumayer ist Ethnologin, Autorin und Radiomacherin. Im April und Mai half sie mehrmals bei den Reisenbäuerinnen am Feld mit. Sie lebt und arbeitet in Wien-Favoriten und Kritzendorf a/d Donau.